Luisa Neubauer in der Posthalle Würzburg
Event: 9. November 2025
Artikel: 14. November 2025
Ich war bei Luisa Neubauer, offiziell zu einer Lesung aus ihrem neuen Buch „Was wäre, wenn wir mutig sind?“, aber eigentlich fühlte es sich eher an wie eine Art Show. Nicht im abwertenden Sinn, sondern im Sinne eines Abends, der sich frei zwischen Lesung, Vortrag, Gespräch und spontanen Momenten bewegte. Eine Mischung aus Präsentationen, Frage-Antwort-Situationen, kleinen Beobachtungen aus ihrem Aktivismus und natürlich Passagen aus ihrem Buch. Ich habe den Abend als eine Energie erlebt, die sich kaum in ein Genre pressen lässt.
Was mich sofort gepackt hat, war dieser Gedanke, dass Mut ein Muskel ist, der trainiert werden muss. Nicht diese platte Motivationsspruch-Variante, sondern eher eine ernsthafte Einladung, Mut als etwas Alltägliches zu begreifen, als einen Vorgang, der sich aufbaut, wieder schwächer wird, gepflegt werden will. Und dann dieser andere Gedanke, dass Fossilität zu 100 Prozent ausgedacht sei – und dass gerade das die gute Nachricht ist, weil man Gedanken auch wieder umdenken kann. Das wirkt auf den ersten Blick abstrakt, aber gleichzeitig viel klarer als die meisten politischen Debatten, die man sonst zum Thema hört.
Es gab eine Grafik, die mich wirklich getroffen hat. Sie stellte die Anzahl der Treffen von Verkehrsminister Wissing mit der Autolobby seiner Amtszeit gegenüber – viele, viele dutzende Male – und daneben die Zahl der Treffen mit Umweltaktivist*innen: genau eines. So eine Gegenüberstellung braucht nicht mal einen Kommentar. Sie schreit einem förmlich ins Gesicht, welchen Stellenwert diese sogenannte Fossilität im politischen Handeln hat und wie marginal dagegen Klimaaktivismus und Umweltschutz erscheinen. Ich habe kurz nicht gewusst, ob ich lachen oder weinen soll.
Überhaupt: Luisa selbst. Ich habe selten jemanden erlebt, der so gebildet, so klug und gleichzeitig so klar sprechen kann. Ich bewundere sie sehr. Und was mich fast noch mehr beeindruckt, ist ihr Optimismus – wobei sie selbst ja betont, dass es eigentlich kein Optimismus sei. Wenn man all die Daten kennt, all das Wissen hat, das sie hat, und trotzdem nach vorne schaut, trotzdem Möglichkeiten sehen will, dann empfinde ich das als tollkühn. Ein positiv gemeintes Wort hier. Ihr Possibilismus – ein Begriff, der laut Wikipedia in seinem aktuellen Verständnis zum Teil von ihr geprägt wurde – setzt genau da an: Es gibt Möglichkeiten, auch wenn sie nicht einfach, vielleicht nicht einmal wahrscheinlich sind, aber sie sind möglich. Und solange sie möglich sind, lohnt es sich, für sie zu kämpfen und sie sichtbar zu machen.
Ich hatte beim Zuschauen manchmal das Gefühl, dass sie beim Zettelziehen einen kleinen Taschenspielertrick benutzt. Reine Vermutung natürlich, aber sie schaut beim ersten Zettel immer einen kurzen Moment länger drauf, selbst wenn da nur ein sehr kurzer Satz stehen könnte. Es wirkt ein bisschen so, als verschaffe sie sich damit den Moment, entscheiden zu können, ob sie auf diesen Zettel eingehen will oder lieber etwas anderes sagt. Und manchmal kommt dann eine lustige oder harmlose Bemerkung, bei der ich mich gefragt habe, ob das wirklich darauf stand. Ich fand das eher charmant als irritierend, weil es den Abend lebendig machte und mich daran erinnerte, dass solche Veranstaltungen eben auch performative Räume sind.
Ist das überhaupt vegan? In diesem Fall geht es natürlich nicht um Essen, sondern darum, ob und wie klimapolitische Fragen aufgegriffen werden. Und ja, der gesamte Abend war durchzogen von klimapolitischen Gedanken, Einschätzungen, Analysen und dem Versuch, neue sprachliche und gedankliche Räume zu öffnen. Nicht als moralische Keule, sondern als Einladung, neu zu denken. Das war hundert Prozent präsent.
Wie queer ist das denn? In meinen Notizen steht dazu nichts Spezifisches, und ich glaube, das sagt auch etwas aus. Mir ist bewusst, dass ein bewohnbarer und geschützter Planet ausnahmslos allen zugutekommt, also auch queeren Menschen. Aber genau dieses Mitgemeintsein ist ja immer so ein zweischneidiges Schwert. Ich lasse es dieses Mal einfach so stehen, ohne es besonders positiv oder negativ zu bewerten. Der Abend selbst hat queere Themen jedenfalls nicht direkt adressiert.
Hast du die Kids gesehen? Auch wenn im Abend selbst nicht explizit über Kinderrechte oder konkrete Darstellungen von Kindern gesprochen wurde, schwang das Thema unausweichlich mit. Wenn man über Klima spricht, spricht man immer auch über junge Menschen und Kinder – über ihre Zukunft, über die Frage, ob wir ihnen einen lebenswerten, bewohnbaren Planeten hinterlassen. In diesem Sinne war der gesamte Abend durchzogen von der Verantwortung gegenüber kommenden Generationen, selbst wenn das nicht als eigenes Thema hervorgehoben wurde.
Sinnlichkeit. Mich hat beeindruckt, wie multimedial und vielschichtig der Abend war. Es war kein endloses Gerede. Es gab Präsentationen, Lesemomente, spontane Reflexionen und grafische Einblendungen wie diese erschütternde Wissing-Gegenüberstellung. Es fühlte sich an, als würden mehrere Ebenen gleichzeitig aktiviert: intellektuelle, emotionale, visuelle. Ich habe das als sehr lebendig erlebt.
Trigger. In meinen Notizen tauchten zunächst keine konkreten Inhalte auf, die ich als klassische Trigger einordnen würde. Gleichzeitig gehört es zur Realität, dass Klimaangst – oder Eco-Anxiety, wie es oft genannt wird – ein Gefühl ist, das viele Menschen begleitet. Dieses Gefühl, der Klimakrise und einem möglichen Untergang des Planeten hilflos ausgeliefert zu sein, war im Raum spürbar, allein schon durch die Themen, die verhandelt wurden. Und auch wenn der Abend genau dazu einlädt, dem entgegenzutreten, hat er mich persönlich an manchen Stellen betroffen und verzweifelt gemacht, weil ich den Mut und die Möglichkeiten, die Luisa sieht oder vielleicht tatsächlich hat, für mich selbst nicht immer erkennen kann. Das ist kein Fehler des Abends, eher eine Spiegelung meiner eigenen Lage.
Meine Haltung zu solchen Abenden ist grundsätzlich so: Ich gehe meist ohne große Vorbereitung hin, weil ich erleben möchte, wie etwas für sich wirkt. Trotzdem informiere ich mich über die Menschen, deren Arbeit ich mir ansehe. Ich folge Luisa Neubauer auf Instagram und hatte ihr Buch „Was wäre, wenn wir mutig sind?“ vorher schon gehört, in der von ihr selbst eingelesenen Hörbuchversion. Mit diesem Hintergrund gehe ich offen in solche Veranstaltungen, lasse das Gesehene in Ruhe auf mich wirken und versuche herauszufinden, was es in mir auslöst – ohne den Anspruch, dass es dafür eine einzige richtige Lesart gäbe.
Wenn dich meine Eindrücke neugierig gemacht haben, dann kannst du dir selbst ein Bild machen – auch wenn die Lesereihe, soweit ich weiß, inzwischen beendet ist. Ich war auf der letzten Veranstaltung der Tour. Aber du kannst Luisa Neubauer auf Social Media folgen und natürlich ihr Buch „Was wäre, wenn wir mutig sind?“ lesen oder hören, um weiter in ihre Gedanken einzutauchen.
Schön, dass du bis hierhin gelesen hast!
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