Theater Kopfüber, Ansbach
Event: 21. September 2025
Artikel: 24. September 2025
Ich war im Theater Kopfüber in Ansbach und habe mir „König Ubu“ angesehen. Es war keine klassische Premiere, aber in gewisser Weise doch eine besondere Aufführung, denn die Hauptrolle wurde neu besetzt und das war die erste Vorstellung mit dieser Besetzung. Im Publikum saßen wir nur zu dritt. Für ein kleines Theater ist das sicher nicht ungewöhnlich, aber für mich war es trotzdem ein trauriger Anblick, weil diese Produktion definitiv mehr Zuschauer verdient hätte.
Gerald Leiß als König Ubu war ein Erlebnis: wunderbar infantil, abstoßend, ekelerregend. Seine Stimme kratzte, gröhlte, überschlug sich, und trotzdem war man bei ihm und fühlte mit. Claudia Kucharski spielte die Mutter Ubu – eine Rolle, die sie mit großer Energie anlegte. Zusammen bildeten die beiden ein überzeichnetes, karikatureskes Duo. Ich war ehrlich begeistert davon, dass es trotzdem gelungen ist, eine Entwicklung der Figuren zu zeigen. Gerade König Ubu konnte ich als eine Art Protagonisten verfolgen, mit dem man, so abstoßend er auch ist, mitschwingt.
Das Stück selbst war dadaistisch, surreal und sehr assoziativ. Ich hatte mich innerlich vorbereitet, sodass ich mit etwas Mühe hineinfand und dann auch die Ebenen darunter schätzen konnte. Es geht um Geldgier, Macht, Kriegstreiberei – lauter Themen, die ständig in den Nachrichten sind, aber trotzdem viel zu selten in einem künstlerischen Rahmen so zugespitzt verhandelt werden. Durch die Überzeichnung und den Camp-Charakter entsteht sogar eine neue Basis, über Krieg zu sprechen. Es öffnet Räume für Diskussionen, die nicht nur die Logik der Mächtigen, sondern auch die Perspektive der Opfer ins Zentrum stellen könnten – etwas, das in der politischen Realität so oft fehlt.
Das Bühnenbild hat mich an das Innere eines Zeltes erinnert, vielleicht bei einem archaischen Stammesoberhaupt. Ein Thron mit Tierfellen, ein Gerüst, das mit Objekten verziert war, die an eine Weltkarte denken ließen. Im Hintergrund tauchte immer wieder ein Puppentheater auf. Auch die Figuren waren besonders: Neben König und Mutter Ubu traten alle anderen Rollen als Figuren auf – mal nur ein Bild auf einem Stiel, mal komplexe mehrfigurige Aufbauten.
Im Verlauf zieht König Ubu mehrfach in den Krieg. Besonders der zweite wurde inszeniert als Collage aus kurzen Einwürfen von ihm in verschiedenen Situationen, gemischt mit Toneinspielungen aus der Tagesschau-Kriegsberichterstattung. Das war stark, aber auch problematisch. Denn wie so oft bei Stücken über Kriegstreiber bleiben die Opfer auf der Strecke. Hier wurden sogar hochrangige politische Gegner zu Schießscheiben degradiert, deren kaltblütige Ermordung so gut wie keine Konsequenzen hatte – außer einem halb scherzhaften Fingerzeigen von Mutter Ubu. Und auch sie selbst wird im Verlauf vom machthungrigen Gegenpart zur traurigen, deprimierten Frau, die sich dem König ergibt und letztlich selbst Opfer seiner Gewaltfantasien wird.
Beteiligt an dieser Produktion sind:
Text: Alfred Jarry
Inszenierung: Julia Mark
Raum und Figuren: Claudia Kucharski
Musik: Darius Gall
Kostüme: Veronika Stünkel
Ist das überhaupt vegan?
Nein. Mehrmals wird auf der Bühne Wurst gegessen, gierig und ohne jedes Gespür für Tischmanieren. Für mich war das nicht nur ein grobes Bild, sondern auch ein sinnbildliches Verschlingen. Es wirkte wie ein Symbol für die Menschen und Existenzen, die der König auf seinem Weg vertilgt.
Wie queer ist das denn?
Queerpolitische Themen spielen keine Rolle. Für mich war die nächste „politische Variable“ die Figur der Mutter Ubu, weil hier wenigstens eine FLINTA*-Person im Zentrum steht, wenn schon nicht von queeren Menschen die Rede ist. Mutter Ubu beginnt als manipulative, dominante Figur und endet als gebrochene, traurige Frau. Dass sie am Ende nicht nur ihre Stärke verliert, sondern auch den Gewaltfantasien des Königs ausgeliefert wird, hat mich bedrückt.
Zum Umgang mit Triggern: Ich finde es auf keinen Fall unproblematisch, wie das Stück mit Gewaltopfern umgeht. Für Menschen, die sensibel auf Darstellungen von Erniedrigung, Krieg oder willkürlicher Gewalt reagieren, könnte es sehr belastend sein. Gerade weil Morde und Erniedrigungen oft ohne Konsequenzen bleiben oder ins Lächerliche gezogen werden, besteht die Gefahr, dass das Leid der Opfer verharmlost wirkt.
Meine Haltung zum Bühnenwerk: Ich halte es für wichtig, dass es solche Stücke gibt. Auch wenn sie problematische Aspekte haben, eröffnen sie Räume, in denen Krieg und Macht neu gedacht und diskutiert werden können. Was ich mir kulturpolitisch wünschen würde: Dass mehr Menschen ihre Ressourcen einsetzen, um solche Aufführungen in kleineren Theatern oder der freien Szene zu besuchen. Ich weiß, dass das nicht für jede und jeden möglich ist, gerade finanziell. Aber es gibt manchmal Wege – wie zum Beispiel das Gewinnspiel, durch das die beiden anderen Zuschauer*innen an diesem Abend ins Theater kamen. Und selbst ohne schicke Kleidung oder Vorwissen kann man hingehen. Das Theater braucht diese Art von Publikum, das sich traut, offen und neugierig zu sein.
Wenn Dich mein Text neugierig gemacht hat, gönn Dir doch einen Abend bei „König Ubu“ im Theater Kopfüber in Ansbach. Alle Infos findest Du auf der Website des Theaters:
https://theater-kopfueber.de/ (externer Link)
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