Kleiner Mann, was nun?

Theater Salz + Pfeffer Nürnberg

Event: 5. Oktober 2025

Artikel: 6. Oktober 2025


Ich war zum ersten Mal im Theater Salz & Pfeffer und habe mir „Kleiner Mann – was nun?“ nach Hans Fallada angeschaut.

 

Mir sind einige Besonderheiten im Theater aufgefallen. So zum Beispiel: Es gibt gratis Leitungswasser, alle Getränke sind vegan und bio, und die WCs sind nicht mit Geschlechtern beschriftet, sondern mit Symbolen, die klar machen, ob es sich um „WCs zum Sitzen“ oder ein „Pissoir“ handelt. Solche Details prägen meinen Besuch, ich merke dass sich da Menschen Gedanken machen.

 

Das Stück selbst wird in einer Mischform gezeigt. Es kommen verschiedene Arten von Figuren zum Einsatz, und gleichzeitig schlüpfen die Spielerinnen und Spieler selbst in Rollen. Da die Haupt-Figuren sehr klein sind, hat das eine enorme Wirkung, wenn die Darstellerinnen und Darsteller selbst auftreten – sie wirken riesengroß im Vergleich. Das ist ein Kontrast, der die Geschichte auf eine ganz besondere Art verstärkt und für mich ein zusätzliches Augenzwinkern Richtung Stücktitel ist.

 

Das Bühnenbild besteht aus verschiedenen weißen Holzquadern, die wandelbar sind. Einer davon wird zum Beispiel aufgeklappt und ist plötzlich eine Umkleidekabine im Kaufhaus. Diese Schlichtheit, die trotzdem Vielgestaltigkeit zulässt, passt wunderbar.

 

Beim Schreiben dieses Textes habe ich das Gefühl, dass ich gar nicht so richtig viel zur Stückpräsentation sagen kann. Und genau das ist für mich ein gutes Zeichen. Es war für mein Empfinden handwerklich stabiles Theater, das sich auf die Stückvorlage verlassen hat und sie mit den Mitteln des Figurentheaters sinnlich vermittelt hat. Gleichzeitig muss ich ehrlich sagen, dass ich mit der Kunstform des Figurentheaters bisher nicht so viel Kontakt und Erfahrung habe wie mit anderen darstellenden Künsten. Umso mehr freue ich mich, dass ich hier so unmittelbar in die Inszenierung hineingezogen wurde. Und genau das ist das Erlebnis, das ich haben möchte, wenn ich ins Theater gehe.

 

Besonders eindrücklich war für mich der zweite Teil, in dem die politischen Probleme der Machtergreifung der Nationalsozialisten näher rücken. Hier wurde eine Soundcollage eingesetzt, die sowohl historische Aufnahmen von NS-Politikern als auch Reden von der AfD-Politikerin Alice Weidel enthielt. Für mich können diese undemokratischen und unwürdigen Reden ohne Weiteres nebeneinanderstehen.

 

Gestört hat mich allerdings die musikalische Untermalung. Die Übergangsmusik war eher elektrisch und eher industriell geprägt. Ich konnte überhaupt nicht nachvollziehen, wie das in den Stückzusammenhang passen soll. An manchen Stellen war außerdem der Sound im Vergleich zu den Sprechtexten so schlecht ausgesteuert, dass ich nicht sicher war, ob das absichtlich so gemeint war oder nicht.

 

Ist das überhaupt vegan?
In dieser Kategorie schaue ich, ob klimapolitische Fragen oder Klimaaktivismus im Stück behandelt werden. Das war hier nicht der Fall. Stattdessen gab es eine ausgeprägte Kapitalismuskritik und eine klare Kritik an unsozialen Vertragsverhältnissen zwischen Angestellten und Firmenchefs.

 

Wie queer ist das denn?
Hier geht es mir darum, ob queerpolitische Anliegen aufgegriffen werden. In dieser Inszenierung war das nicht so. Die Beziehungen, um die es ging, waren alle heteronormative Beziehungen zwischen Cis-Personen.

 

Hast du die Kids gesehen?
In dieser Kategorie frage ich mich, ob die Rechte und die politischen Anliegen von Kindern und Eltern behandelt werden. Das ist hier sehr deutlich der Fall. „Kleiner Mann – was nun?“ bezieht sich einerseits auf die Hauptfigur, die vollkommen unemanzipiert ist, und andererseits auf die Probleme, die entstehen, als er beziehungsweise seine Frau ein Kind bekommt. Das führt zu Schwierigkeiten am Arbeitsplatz, zu Existenzproblemen, zu gesellschaftlichen Problemen. Ich würde mir wünschen, dass diese Fragestellungen längst historisch wären, aber ich glaube nicht, dass das so ist. Unsere Gesellschaft ist meiner Meinung nach von Adultismus geprägt, Kinder sind bis heute kein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft. Für Eltern bedeutet das nach wie vor ein erhebliches finanzielles Risiko, weil Politik und Gesellschaft hier nicht ausreichend unterstützen. Auch am Arbeitsplatz entstehen Belastungen, nicht weil Kinder ein Problem wären, sondern weil die gesellschaftlichen Strukturen keine echte Vereinbarkeit ermöglichen. Kinder und Schwangere haben noch immer keinen selbstverständlichen und sicheren Platz in unserer Gesellschaft.

 

Sinnlichkeit
In dieser Kategorie schaue ich, ob die Stückvorlage auf mehreren sinnlichen Ebenen erlebbar und nachvollziehbar gemacht wird, anstatt sich nur in Gerede zu verlieren. Für mich war spürbar, dass genau das passiert ist. Mischformen aus Figuren- und Schauspiel, wandelbare Bühnenbilder, der Einsatz von Soundcollagen – das alles hat zusammengewirkt und das Theatererlebnis auf mehrere Ebenen gebracht.

 

Zum Umgang mit Triggern

Mit potenziell triggernden Situationen wird sehr vorsichtig und umsichtig umgegangen. Alles bewegt sich in einem nachvollziehbaren Rahmen. Es gab zum Beispiel den Moment, in dem die Eltern nach den damals geltenden Erziehungsmethoden ihr Baby schreien lassen wollen, sich aber sehr schnell dagegen entscheiden. Außerdem eine sehr deutliche Darstellung von körperlicher Polizeigewalt. Beides sind, soweit ich das nachvollziehen kann, Elemente aus der Stückvorlage. Während der Konflikt um die Pflege des Neugeborenen rasch aufgelöst wird, bleibt der Konflikt mit der Polizei unbearbeitet stehen.

 

Wenn Dich mein Text neugierig gemacht hat, dann: das Stück unbedingt anschauen! Alle Infos findest Du auf der Website des Theaters Salz & Pfeffer: https://www.salzundpfeffer-theater.de

 

 

Team:
Spiel: Roland Klappstein, Jennifer Quast
Regie: Christian Sengewald
Regieassistenz: Phant Petroff
Figurenbau: Peter Lutz
Stückfassung: Annika Schaper
Ausstattung und Bühne: Sarah E. Schwerda
Kostüm: Lena Peschke
Maske: Sarah-Lisa Mattheis
Musik: Fabian Kratzer
Technik: Tabea Baumer, Anton Reger


Schön, dass du bis hierhin gelesen hast!

 

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