Asari, rise and sing

Rabbit Hole Theater Essen

event: 18. Oktober 2025

artikel: 19. Oktober 2025


Gestern Abend war ich im Rabbit Hole Theater in Essen. Dieses Theater ist so winzig, dass ich fast das Gefühl hatte, direkt mitten auf der Bühne zu sitzen. Der Raum war schwarz, nur dieser verhängte Quader hing im Zentrum, von dem ich später merkte, dass er als Projektionsfläche diente.


Links saß Micha Lorenz – nicht nur mit Gitarren, sondern auch mit Loopstations und elektronischen Geräten, die er zu einem kleinen Klanglabor verband. Rechts hatte Marco Girardin ein riesiges Set aufgebaut, mit Synthesizern, Laptops, Percussion – und auch die Querflöte, die er an manchen Stellen ins Spiel brachte.


Der Abend begann mit einem Jazzgesang auf Englisch, ein Ich, das aufzählt, was es alles nicht hat. Dazu das Scherengeräusch, das ich erst nicht zuordnen konnte – bis im Schattenspiel sichtbar wurde, dass Isabel sich selbst die Haare schnitt. Währenddessen erzählte sie von ihrer Kindheit, in der es fast unmöglich war, einen Friseur zu finden, der Locken schneiden konnte. Solche Schilderungen von Rassismuserfahrungen durchziehen den ganzen Abend: immer wieder Momente, in denen mir die Kinnlade herunterfällt. Unglaublich, was eine Künstlerin in den 2020ern noch hören muss – alltäglich, nebenbei, völlig unreflektiert von den Täter:innen.


Dann trat Isabel Wamig auf die Bühne – und sie ist eine absolute Powerfrau, aber nicht im Sinne von äußerlicher Lautstärke oder sichtbarer Verausgabung. Ich erlebe sie vielmehr als vollkommen in sich ruhend. Für mich ist sie eine Queen, eine Diva im besten Sinne: Sie kontrolliert Bühne, Publikum und Energie mit einer leisen Autorität, ohne je die Fassung zu verlieren.


Und dabei vollführt sie eine Leistung, die mich sprachlos macht. Isabel springt mühelos zwischen Genres, als gäbe es keine Grenzen. Sie stapelt Fertigkeiten, für die andere Jahrzehnte brauchen, um sie auf diesem Niveau zu beherrschen – und sie tut es spielerisch, fast nebenbei. Manchmal wechselt sie innerhalb eines einzigen Verses von einem Lied in eine Arie und wieder zurück. Sie tanzt, sie steppt, sie liest, sie telefoniert, sie macht Koloraturwettbewerb mit sich selbst – und in allem ist sie gleichzeitig glasklar authentisch und artistisch brillant. Ich sitze da und denke: Wie kann ein Mensch all das in einem einzigen Körper vereinen?


Was mir auffiel: Im ersten Teil gab es keinen Zwischenapplaus. Ich glaube nicht, dass es daran lag, dass Pausen fehlten. Für mich war es eher so, dass die Szenen dramaturgisch so dicht und logisch ineinandergriffen, dass wir alle vorsichtig waren. Ich spürte im Saal dieses gemeinsame Bewusstsein: Wenn ich jetzt klatsche, störe ich vielleicht den Fluss. Das hatte fast etwas Ehrfürchtiges. Erst im zweiten Teil öffnete Isabel bewusst Räume für Applaus, und die Stimmung veränderte sich sofort – plötzlich war da Leichtigkeit, Freude, gemeinsames Atmen.


Die Aufführung war durchzogen von Zitaten. Und es sind nicht nur wörtliche Zitate, die gesprochen oder gesungen werden – vielmehr sind alle Beobachtungen, die danach folgen, selbst Zitatebenen: Gershwins Summertime, Tina Turners Proud Mary, traditionelle afrikanische Tänze, Muster in den Kostümen, Musik, die tief verankert ist. Alles wirkt wie ein vielschichtiges Zitieren von Geschichten, Stimmen und Ausdrucksformen, die Isabel in ihrer Performance zusammenführt.


Besonders die Videoeinspielungen gingen mir unter die Haut. Sie hatten eine Nähe, die für mich magisch war. Ich sah, wie liebevoll die Interviewpartner:innen mit Isabel verbunden sind – und ich fühlte, wie sich dieses Vertrauen direkt in den Raum übertrug.


Für mich ist „Asari, rise and sing!“ eine Hommage an das, was es bedeuten kann, Sisterhood und die Verbindung zu Ancestors zu spüren. Isabel macht dieses Erleben auf der Bühne so greifbar, dass es auch für uns im Publikum nachvollziehbar wird – fast so, als könnten wir für einen Moment Anteil nehmen an dieser Kraft und Geborgenheit.


Und ja, während ich zuhöre und staune, spüre ich immer wieder auch persönlich, wie sehr mich diese Schilderungen erschüttern. Es ist schwer auszuhalten, dass Rassismus in den 2020er Jahren noch so alltäglich, so unreflektiert passiert. Ich sitze da mit offenem Mund, weil es mich trifft – nicht, weil ich die Erfahrungen teilen könnte, sondern weil ihre Alltäglichkeit so unfassbar wirkt.


Ich gehe aus dem Rabbit Hole hinaus mit einem doppelten Gefühl: bedrückt von der Schwere dieser Erfahrungen – und gleichzeitig gestärkt, weil Isabels Kunst so viel Würde, Kraft und Liebe ausstrahlt. Für mich fühlt es sich an, als hätte ich an einem Traum teilgenommen, der noch lange in mir nachklingen wird.


Asari, rise and sing! ist eine mobile Produktion für die noch Spielstätten gesucht werden. Wenn du Asari anschauen willst, dann bleib auf dem Laufenden via Isabel Wamigs Online Präsenzen. Oder vielleicht weißt du / bist du eine Event Location wo Asari gezeigt werden soll? Melde dich! 



Schön, dass du bis hierhin gelesen hast!


 


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