Aladdin

Ein Märchen voller Spielfreude, Musik und Kontraste:

Das Veteranentheater Erlangen spielt Aladdin


Theaterkeller des Emil-von-Behring-Gymnasiums in Erlangen

Event: Samstag, 4. Oktober 2025

Artikel: Sonntag, 5. Oktober 2025


Ich habe mir das Stück "Aladdin" von der Theatergruppe Veteranentheater im Theaterkeller des Emil-von-Behring-Gymnasiums in Erlangen angesehen. Die Gruppe besteht aus Ehemaligen der Oberstufentheatergruppe des Emil-von-Behring-Gymnasiums Spardorf, die sich zu einem eigenen Ensemble zusammengeschlossen haben. Gespielt wurde eine überarbeitete Fassung nach Wolfram Gittel.

 

Vorbemerkung - Meine Haltung zum Bühnenwerk:

Natürlich kann ich Vermutungen anstellen, wo Regieprozesse erkennbar sind oder wo Improvisation ihren Platz hatte. Aber ich bemühe mich, eine Aufführung so anzusehen, wie sie mir gezeigt wird – eins zu eins, ohne dabei auseinanderzudividieren, welche Elemente aus Arbeitsprozessen, Textfassung oder Regie stammen. Ich versuche auch, möglichst keine Programmhefte zu lesen und keine Vorgespräche zu führen. Für mich soll ein Stück in seiner Dauer – hier waren es knapp zwei Stunden mit Pause – alles mitteilen, was es mitzuteilen hat. Und das hat diese Aufführung getan.

 

Besonders wertschätzen konnte ich Mut und Spielfreude. Es gab viele Entscheidungen, die risikofreudig waren, und es war spürbar, wie ernsthaft die Mitwirkenden einander zuhörten, selbst wenn sie den Text natürlich kannten. Dazu kam eine durchgehende Energie, ein Dranbleiben an der Rolle, ob man gerade im Mittelpunkt stand oder nicht. Auch die Sprache war klar und deutlich, was im Laientheater keine Selbstverständlichkeit ist, und gerade deshalb fällt es positiv auf.

 

Die Musik war ein starker Bestandteil dieser Aufführung. Viele populäre Lieder wurden umgedichtet und integriert, darunter Stücke aus Musicals, Deutsch-Pop-Evergreens und auch bekannte Chart-Hits. Begleitet wurden die Songs von den Mitwirkenden selbst, zum Beispiel auf Querflöte, Gitarre oder Akkordeon, aber auch mit weiteren Instrumenten, die zum Teil hinter der Bühne erklangen. Es war auffällig, dass an vielen Stellen statt einer schauspielerischen Ausgestaltung auf Musik und Gesang zurückgegriffen wurde. Für mich war das manchmal nah an der Gattung des Jukebox-Musicals. Das kann man als bewusste Entscheidung lesen: Nicht jede Szene muss sich im Dialog entfalten, manche Momente dürfen über Musik eine andere Form von Energie und Ausdruck bekommen. Für meinen persönlichen Geschmack war das stellenweise zu viel, aber gerade diese Wahl hat den Charakter des Stücks entscheidend geprägt.

 

Das Publikum hat sehr herzlich reagiert. Es gab wohlwollendes Lachen, nur wenig Zwischenapplaus, und in den Pausen war eine lebendige Gesprächsatmosphäre spürbar. Viele schienen einander zu kennen, was der Aufführung eine fast familiäre Stimmung gegeben hat.

 

Die Kostüme, die von Afra Burkart und Ronja Thiele kreiert wurden, waren auffällig opulent und wirkten in ihrer Gestaltung teilweise wie aus einem Science-Fiction- oder Fantasy-Universum entlehnt. Ich habe das als eine sehr erfreuliche Entscheidung empfunden. Gerade beim Werk „Aladdin“ hätte ich befürchtet, dass man schnell in orientalistische Klischees abrutscht, aber hier war das nicht der Fall. Stattdessen gab es ein Detail, das mich besonders fasziniert hat: die männlich gelesenen Figuren trugen sehr freizügige Kostüme, während die weiblich gelesenen Figuren deutlich angezogener waren. Das war für mich die Umkehrung von dem, was meiner Erfahrung nach im Mainstream-Fantasy-Bereich an Fantasien bedient wird. Dort sehe ich in Videospielen, Comics oder Filmen meist weiblich gelesene Figuren in knappen, erotisierenden Outfits, während männlich gelesene Figuren in voller Rüstung oder Kleidung auftreten. Spannend fand ich, dass dieses Muster bei Aladdin und seiner Mutter Zena durchbrochen wurde. Für mich war das ein Symbol für die Abkehr dieser beiden Figuren von ihren jeweiligen traditionalistischen Rollenbildern (also den behaupteten, vermeintlich „traditionellen“ Geschlechterbildern, wie sie von Traditionalisten gezeichnet werden): Zena trägt im eigenen Haus sprichwörtlich – und hier auch ganz buchstäblich – die Hosen, sie wirkt pragmatisch und tatkräftig. Aladdin dagegen erscheint als Träumer, der lieber in den Tag hineinlebt – und dabei, soweit ich nachvollziehen kann, im Stück so angelegt, nicht unbedingt als der schlauste Kopf des Universums.

 

Das Bühnenbild war im Gegensatz dazu bewusst minimalistisch – konzipiert von Philipp Böcker (Szenografie), umgesetzt von Ben Roth (Bühnenbau). Für mich lag darin ein reizvoller Kontrast. Das Haus von Aladdin und seiner Mutter war ein hochgezogenes Fischernetz, das wie ein Zelt wirkte. Später verwandelte sich dieses Netz in Aladdins Warenhaus. Der Palast des Sultans bestand aus einem Stuhl und einem Raumteiler, die Teestube aus ein paar Klappstühlen, und der Thronraum des Sultans war eine Sperrholzbox mit dekorativem Torbogen. Einfach und klug zugleich. Das Lichtdesign verantwortete Katrin Wacker.

 

Lukas Zinnow spielte Aladdin. Die Rolle ist sehr vielschichtig angelegt: Aladdin ist einerseits ein Tunichtgut ohne besondere Fähigkeiten, andererseits jemand, der durch magische Unterstützung in ungeahnte Höhen aufsteigt. Lukas Zinnow zeigte in dieser Figur clowneske Comic-Einlagen, brachte aber auch ehrliche und authentische Momente ein, die die Rolle lebendig machten.

 

Amelie Benz verkörperte Zena, die Mutter. Im Stück ist sie die Frau, die sich mit den Eigenheiten ihres Sohnes auseinandersetzen muss, eine starke Mutterfigur. Amelie Benz stellte sehr deutlich heraus, dass Zena in einem Rollenkonflikt steckt: Aladdin ist im heiratsfähigen Alter und damit erwachsen, und trotzdem fühlt sie sich verpflichtet, seine Fehler auszubügeln. Diese Spannung zwischen Fürsorge und Überforderung war in ihrem Spiel klar zu erkennen.

 

Philipp Böcker trat als Regen auf, den Herrscher. Regen ist als Autorität gedacht, die über allem steht. Philipp Böcker wählte dafür eine zen-buddhistische Spielhaltung, die sehr gut zu dieser Position passte und die er konsequent durchhielt. Situationen, die wohl jede andere Person herausgefordert hätten – etwa ein Auftritt in hohen Stripper Heels – brachten ihn dabei nicht aus der Ruhe.

 

Karoline Herbst war Baldrubur, die Prinzessin. Im Text ist Baldrubur als kluge, weise Königstochter gezeichnet. Sie hat diese Anlage klar und überzeugend aufgenommen. Ihre Spielweise war authentisch und durchdacht, mit viel Engagement, besonders in der Interaktion mit dem Ensemble.

 

Sönke Prophet spielte den Großwesir. Diese Figur ist im Stück jemand, der mit allen Mitteln seine Interessen durchsetzen will. Sönke Prophet gestaltete diesen Ehrgeiz mit Nachdruck und zeigte zugleich, wie die Figur scheiterte, weil im Umfeld des Stücks Ehrlichkeit und Authentizität stärker wirken als List und Machtgier.

 

Katrin Wacker war Aliquid, die Kammerzofe der Prinzessin. Ihre Rolle bewegt sich zwischen Loyalität zur zukünftigen Regentin und der Sorge um ein Kind, das ihr am Herzen liegt. Katrin Wacker nahm diese mütterliche Dimension sehr ernst und ließ den Spagat, den die Figur zu bewältigen hat, auf der Bühne deutlich werden.

 

Danil Nazarkin war der Wirt. Im Fantasygeschehen übernimmt ein Wirt traditionell die Rolle des Elternhauses: So wie Kinder zu ihrer Mutter nach Hause kommen, so kommen die Figuren ins Gasthaus. Dort werden sie emotional aufgefangen, ihre Sorgen finden Gehör, und sie werden mit Nahrung und Getränken versorgt. Danil Nazarkin spielte den Wirt genau so – mit offenem Ohr und offenem Herzen, und zugleich mit Geselligkeit, indem er die Menschen mit immer neuen Tee-Kreationen versorgte.

 

Ronja Thiele spielte die Schneiderin und Vanessa Dietrich die Schusterin. Beide traten als Vertreterinnen der Arbeiter*innenklasse auf. Sie zeigten Figuren, die ihr Selbstbewusstsein aus ihrer Kunstfertigkeit schöpfen und stolz darauf sind, was sie können. Gleichzeitig wirkten sie sehr reflektiert im Umgang mit ihren eigenen Ressourcen. In ihrem Spiel nahmen sie die Rolle von Botschafterinnen ein: Sie fassten Ereignisse zusammen und machten sie damit auch für das Publikum nachvollziehbar. Besonders interessant war, dass sie dabei Elemente aus dem naturalistischen Theater aufgenommen haben – zum Beispiel, indem sie sich gegenseitig ins Wort fielen oder gleichzeitig redeten. Dadurch wirkte ihre Darstellung lebendig und realitätsnah.

 

Afra Burkart war Moira, die Zauberin. Diese Figur ist im Text zwielichtig, mal helfend, mal berechnend. Afra Burkart hat daraus eine sehr vielschichtige Darstellung entwickelt: Sie baute Vertrauen auf, zerstörte es wieder, nutzte Ressourcen für ihre eigenen Ziele und hatte viele schöne Augenblicke im Text und im Gesang.

 

Richard Wittmann verkörperte die beiden Geister. Der Ringgeist war als mächtiger Dämon mit einem strengen Regelwerk gedacht. Richard Wittmann verlieh ihm mithilfe des Ensembles eine vielstimmige Sprechweise, indem die anderen seinen Text gleichzeitig mitsprachen. Dazu kam eine ganz eigene Körpersprache: Der Ringgeist trat stets frontal auf und bewegte sich nur wenig, was seine Strenge und Unnahbarkeit unterstrich. Der Lampengeist dagegen war pfiffig und bewegte sich fast ballettös. Er brachte den Zwiespalt auf die Bühne zwischen unendlicher Zauberkraft und einer Empathie für Menschen, die aus seiner Sicht ein reines Herz haben.

 

Ist das überhaupt vegan?

In dieser Kategorie schaue ich, ob klimapolitische oder klimaaktivistische Themen im Stück vorkommen.

In dieser Aufführung habe ich dazu nichts gefunden. Es gab ein paar Anklänge an Kapitalismuskritik, die aber nicht weiter ausgearbeitet wurden. Ein Augenblick, in dem der Großwesir den Vorwurf formulierte, Aladdin habe seine Position nur mit unglaublicher magischer Hilfe erreichen können, wurde gleich wieder abgebogen, indem der Herrscher meinte, das spiele keine Rolle mehr. Für mich bleibt so eher das alte Märchen vom Selfmade-Millionär stehen. Aladdin wurde zu Beginn als jemand ohne Fähigkeiten gezeigt, sein einziges Talent war ein merkwürdiges Verhandlungsgeschick, das darauf beruhte, Waren viel zu billig zu verkaufen – möglich nur, weil er sie nicht selbst bezahlen musste. Dass er damit die lokale Wirtschaft zerstörte, wurde gar nicht thematisiert.

 

Wie queer ist das denn?

In dieser Kategorie frage ich, ob queere politische Themen oder queere Lebensrealitäten in einer Aufführung vorkommen.

Hier war das nicht der Fall. Alle Beziehungen waren heteronormativ und zwischen Cis-Menschen.

 

Hast du die Kids gesehen?

In dieser Kategorie geht es darum, ob Kinderrechte, Kinderinteressen oder Elternschaft thematisiert werden.

Kinderrechte oder Kinderinteressen wurden nur kurz gestreift. Es gab die Phase, in der die Prinzessin schwanger war und deshalb nicht mehr Entscheidungen nur für sich und ihren Mann treffen konnte, sondern auch für das ungeborene Kind. Das führte dazu, dass sie sich für eine Lösung entschied, die politisch wahrscheinlich weitreichendere Folgen hatte als das, was sie ohne Schwangerschaft gewählt hätte.

 

Sinnlichkeit.

Die Aufführung war durchaus sinnlich, mit starkem Einsatz von Musik, Live-Instrumenten und einer Bildsprache, die Kontraste setzte zwischen opulenten Kostümen und reduziertem Bühnenraum.

 

Zum Umgang mit Triggern:

Besonders hervorheben möchte ich, dass das Stück – soweit ich das aus meiner Sicht nachvollziehen kann – vollkommen ohne triggernde Inhalte ausgekommen ist. Das empfinde ich als eine Besonderheit und ist nicht selbstverständlich.

 

Zum Schluss noch eine kleine persönliche Beobachtung:

Beim Applaus gab es nur eine gemeinsame Verbeugung, und dann war es vorbei – trotz tosendem Applaus kam niemand mehr zurück auf die Bühne. Vielleicht war das eine bewusste Entscheidung, vielleicht gab es dafür gute Gründe. Aber ich habe im Publikum, und auch bei mir selbst, eine fast traurige Enttäuschung gespürt. Applaus ist für mich ein wertvoller Bestandteil einer Aufführung, ein Moment des Austauschs zwischen Bühne und Zuschauerraum. Gerade weil das Publikum so warm reagiert hat, hätte ich mir gewünscht, dass dieser Augenblick etwas länger hätte dauern dürfen.

 

Wenn ich dich neugierig gemacht habe: Es gibt nur noch eine weitere Aufführung, die offiziell bereits ausverkauft ist. An der Abendkasse kann man sich aber eventuell um Restkarten bemühen – ohne Garantie. Gespielt wird diesmal im Kulturforum Logenhaus in Erlangen.

 

Zum Ensemble und Team gehörten:
Regie: Richard Wittmann
Regieassistenz: Katrin Wacker
Szenografie: Philipp Böcker
Bühnenbau: Ben Roth
Lichtdesign: Katrin Wacker
Kostüm: Afra Burkart, Ronja Thiele
Maske: Hanna Purbach, Lilli Bärwinkel
Technik und Licht: Milan Giner Dick, Lucas Rohleder, Ridha Al-Qaddo

 

PS:

Zwei Fragen zur Zauberin lassen mich bis heute schmunzeln. Erstens: Warum hat sie sich eigentlich nicht einfach selbst die Lampe geholt und den Geist darum gebeten, sie als erstes wieder aus der Höhle zu befreien? Dann hätte es die ganze Geschichte gar nicht gebraucht. Und zweitens: Was ist eigentlich aus ihr geworden? Wir erfahren nur, dass sie – wie der Lampengeist – wohl von einer mächtigen Zauberin zu einer normalen menschlichen Person wird. Aber wie ihre Zukunft aussieht, bleibt offen.

 

PPS:

Ich möchte gar nicht spekulieren, ob und an welchen Stellen etwas schiefgelaufen ist – das ist ja gerade das Reizvolle an einer Aufführung, dass unverhofft Dinge passieren und man damit umgehen muss. Eine Stelle war aber so auffällig wie charmant gelöst: Aladdin trat als Architekt seines neuen Palastes auf, und der Lampengeist setzte die Pläne um. Teil des Bühnenbilds war, dass Säulen aus einer Textilkonstruktion hochgezogen wurden und sich dabei entfalten sollten. Ein sehr schöner Effekt – der allerdings nur bei der ersten Säule funktionierte. Die zweite Säule ließ sich nicht entfalten. Lukas Zinnow reagierte darauf mit einer Mischung aus Mitleid und Humor, indem er zum Lampengeist sagte: „Ja, du hast dein Bestes versucht.“ Respekt an dieser Stelle.

 

 

Wer jetzt Lust hat, sich weiter umzuschauen:
Website des Veteranentheaters: www.veteranentheater.de
Instagram des Veteranentheaters (dort gibt es auch Aufführungsfotos mit den bewundernswerten Kostümen): www.instagram.com/veteranentheater


Schön, dass du bis hierhin gelesen hast!

 

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